Swans – Die Abschiedstour 2017

 

Die lauteste Abschiedstour der Welt

Die Noise-Rock-Band Swans hat vergangenes Jahr ihre Auflösung bekannt gegeben. Derzeit befindet sie sich auf Abschiedstour und machte Station im Berliner Berghain. Laut sind die Amerikaner immer noch und drehen im Laufe des Abends sogar noch weiter auf.

Die Swans haben Ende 2015 ihre Auflösung bekannt gegeben und letztes Jahr, nach ihrem vorerst letzten Album „The Glowing Man„, eine finale Welttourneegestartet.
Im April diesen Jahres, zum Re-Release des 1995er Albums „The Great Annihilator“ mit Michael Giras „Drainland“, wurde die Verlängerung der Tour bis 2017 bekannt gegeben.

Im Oktober führt die finale Tour nach Deutschland.
Am 26.10.2017 machten die Swans Stadion im Berliner Berghain. Bis kurz vor 24:00 Uhr spät in der Nacht und in üblicher, großer Lautstärke verabschiedeten sich Michael Gira, Norman Westberg, Kristof Hahn, Phil Puleo, Christopher Pravdica und Thor Harris von den Leipziger Fans.

Die Lautstärke pumpt die Luft aus den Lungen, schmerzt in den Knochen und trübt die Wahrnehmung. Das eigene Bewusstsein verschwimmt und es existiert nur diese Musik. Die schutzlos ausgelieferten Menschen im Publikum schlagen die Hände vor dem Gesicht zusammen, haben die Augen geschlossen, halten sich gegenseitig fest. Aber sie leiden nicht. Sie nehmen an.
Ich sah es wie ein Stakkato der flirrender Töne und Rückkopplungen, endend in einer krachend lauter Kackophonie.

Allein der Konzertopener dauert eine dreiviertel Stunde

Ein Geschenk der Swans, die an diesem Abend im ausverkauften Berghain auf ihre ganz eigene Weise „Good Bye“ sagen. Sechs Titel spielen die Amerikaner – nicht viel für eine Abschiedstournee, möchte man meinen. Nur dauert der Konzertopener alleine schon mal ’ne gute dreiviertel Stunde. In diesem vereinen die sechs älteren Herren dann auch gleich gekonnt alles, was sie so einzigartig macht.

Unglaubliche Crescendi, die sich bis zu 15 Minuten lang aufbauen. Weit ausgedehnte Klangflächen, an deren Rändern es kilometertief in lärmende Abgründe geht, hohe, IMG_20171026_211023schrill klimpernde Texturen, die von brutal geschlagenen Gitarren und Bässen zermalmt werden. Eine Dynamik, die man bei dieser Grundlaustärke eigentlich für unmöglich hält und ein Timing, bei dem aus dem Lärmwust plötzlich ein knochentrockener Beat entsteht.
Eine Kockophonie eben, die sich breiartig, klebrig in das Gehör ergießt.
Ein schmerzvoller Tinnitus als Ergebnis.
Gott sei Dank, ich hatte dieses Mal Oropax.
Aus den Erfahrungen an den Auftritts der Band 2014 ebenda.

Michael Gira Dirigent und metaphysische Erscheinung in einem

Chef in dem Haufen exzentrischer Querköpfe ist schon immer Michael Gira, einziges dauerhaftes Mitglied der Swans seit deren Gründung 1982. Den 64-Jährigen umgibt eine einnehmende Ausstrahlung, mit seinem verhärmten Gesicht und den strähnigen, nach hinten gekämmten schulterlangen Haaren.
Er ist der Dirigent des Geschehens und er bittet nicht, er gibt mit militärischer Präzision auszuführende Kommandos an seine Bandmitglieder.
Ist einer zu früh dran, würgt Gira ihn mit scharfer Handbewegung ab. Stimmt was mit dem Sound nicht, ruft er mit blitzenden Augen den Mischer auf die Bühne.
Am imposantesten aber ist es, wenn der Amerikaner wie ein Muezzin seine langgezogenen, häufig auf einem Ton resonierenden Mantren singt und mit geschlossenen Augen die Arme weit ausbreitet.
Hebt er die Hände, schwillt der Sound an, senkt er sie, wird es leiser. Es ist natürlich nur die Präzision seiner Mitmusiker, die auf seine Zeichen reagieren, aber es wirkt wie Zauberei. Und manche Zuschauer falten tatsächlich die Hände und neigen die Köpfe. (habe ich mit eigenen Augen gesehen)
Gira ist der transzendente Musik-Mensch, der Guru, die metaphysische Erscheinung des Abends. Chaos und Ordnung, laute Gewalt und kathartische Erlösung.

Ohne Gehörschutz wird Verstärker noch lauter gedreht

A-154588-1411075339-1947.jpegKlar ist, für diejenigen, die sich darauf nicht einlassen können ist das hier Folter. Knapp drei Stunden spielen die Swans, es gibt keine Verschnaufpausen und Gira, der selbst nie Gehörschutz trägt, dreht im Laufe des Konzerts die Verstärker sogar noch lauter. Und ja, dieser Abend ist ein verdammter Arbeitsaufwand, für die Musiker auf der Bühne genauso wie für das Publikum. Aber dafür ist es auch einer, den man nie wieder vergessen wird.

Wie es mit den Swans weitergeht, ist noch nicht ganz klar, Michael Gira sagt dazu: “ I’ll continue to make music under the name Swans, with a revolving cast of collaborators. I have little idea what shape the sound will take, which is a good thing“. Und fügt aber auch hinzu, dass er definitiv weniger auf Tour gehen wird, schließlich ist der Mann schon über 60 und Swans-Konzerte immer eine sehr extensive Erfahrung.

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Fotos: privat

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