SWANS im Berghain 21.10.2014

     Viel wußte ich nicht von der Band, die ich zum ersten Mal bei einem sehr guten Freund hörte. Parallel dazu kamen auch innerhalb kürzester Zeit zwei Dreierlaben auf den Markt. „The Seer“ und „To Be Kind“. Gekauft und hin und weg. Solch eine Musik habe ich lange nicht gehört.

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Komme ich eher aus der Zappa und Beefheat Ecke, höre auch sonst jede Menge an Musik und eben solches, was sich für „Musik“ hält.

Aber Swans?

Gut, dass es Freunde gibt, die es vermögen, meinen Musik-Horizont zu erweitern.

Im April sehe ich durch Zufall die Ankündigung, dass Swans im Bergheim spielen würde. Zufall oder Glück war es auch, dass ein anderer Freund, in der Lüneburg Heide wohnend, Probleme mit der Unterbringung seiner Hunde hatte und somit nicht zu dem von mir gekauften Konzert von Knorkator kommen konnte und alleine hatte ich dann doch keine Lust darauf.

Also switschte ich die Karten. Zumal: Swan ist allemal besser als, entschuldigt liebe Knorkator-Fans, als eben Knorkator.

Ich war gespannt und freute mich darauf. Dann war es so weit:

Herbst. Kalt. Nass. Düster. Mittwoch.
Ein schrecklicher Tag.
Angespannte Vorfreude allüberall.
Aber dann: Abends im Berghain gewesen.

Voll. Sehr voll. Düster. In Herbstfarben gewandete Mengen von Menschen. Angespannte Laune allüberall. Viertelnachneun tritt eine schwarzgekleidete blonde Frau auf die Bühne und beginnt auf einem selbst zusammengelöteten Brett mit vielen Tonabnehmern und wenigen Saiten schmerzhafte Sounds aller Art zu erzeugen: quiekhohes Tinnitusfiepen, das sich direkt in die Hirnlappen fräst, und knapp neben dem Herzschlag pulsierende Bässe; mittelfrequentes subjektloses Brüllen, das den Metabolismus kompetent aus dem Gleichgewicht bringt; aber auch spitz zugefeilte Rückkopplungssplitter, die sich direkt in den Kiefer und die Weichteile bohren.

Toll! Viele Menschen bekommen schlagartig sehr gute Laune, doch ist das noch lange nicht alles gewesen. Die blonde schwarzgekleidete Frau ist nämlich nicht bloß sehr laut, sondern auch äußerst zornig. wpid-images-5.jpegBald beginnt sie so herzhaft und schrill und schmerzhaft verzerrt in die Menge zu schreien, als habe sie eine Tarantel gestochen oder vom Satan oder als schwinge sie sich gerade dazu empor, einen untreu gewordenen Geliebten mittels bloßen Gebrülls in die Hölle zu schicken. Die Frauen im Publikum beginnen sich umstandslos zu identifizieren.

Die heterosexuellen Männer im Publikum, die sich beim Geschlechtsverkehr gerne einmal von einer Frau dominieren lassen – und das sind an diesem Abend, soweit ich sehen kann, viele –, beginnen zu schwitzen und bekommen rote Gesichter.
Die schwulen Männer im Saal scheint die schreiende Frau eher ratlos zu hinterlassen.

Knapp eine halbe Stunde dauert der Spuk, am Ende klettert die Künstlerin – sie heißt übrigens Pharmakon, kommt aus New York und ist süße 23 Jahre alt – von der Bühne herunter und drängt sich durchs Publikum, weil sie ihren Hörern hier drunten noch besser ins Gesicht brüllen kann; wofür selbige so dankbar sind, dass sie ihr in zuvorkommender Weise das sich von der Bühne abwickelnde Mikrofonkabel halten, damit es sich nicht verheddert und die infanalisch schreiende Frau in der Ausübung ihrer Tätigkeit behindert werden könnte. Selten sieht man Aggression und Höflichkeit in so inniger Verschwisterung wie bei einem Pharmakon-Konzert.

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Der Abend wird nach einer kurzen Besinnungspause dann dergestalt fortgesetzt, dass ein sehr kräftiger älterer Mann mit sehr langen Haaren und einem noch längeren buschigen Bart auf einem Gong Gonggeräusche erzeugt; der Mann heißt natürlich Thor. Ein zweiter Mann spielt dazu auf einem Schlagzeug trongsartige Muster; manchmal wird auch mit Glöckchen oder auf lange Röhren geschlagen. Schließlich, es ist jetzt kurz vor elf, kommen vier weitere ältere Männer hinzu und beginnen mit Gitarren, Bass und Lap-Steel-Gitarre die trongsartige Muster auszuschmücken und zu überhöhen; ein sich langsam, aber unerbittlich emporschaukelnder infanaler Krach, in den der musikalische Leiter des Abends, der längst schon schön ergraute Swans-Sänger Michael Gira, sinistre Mantren murmelt und schreit, vom Licht des Universums, einem rosa Lamm auf Granit und einem kleinen Gott, den er in der Hand hält: „Oh Scheiße, oh Blut, für immer Liebe!“ wpid-images-4.jpeg

Seit über 30 Jahren betreibt Gira die Swans, zu Beginn spielten sie einen unfassbar lauten, langsamen Lärm. In ihrem zweiten Frühling sind sie zu einer Art Supergroup der musikalischen Komplettüberwältigung gereift. Sie sind immer noch extrem laut und manchmal auch langsam. Vor allem aber dehnen sie die Dramaturgie ihrer Songs, bis die Spannung unerträglich zu werden scheint, um dann ins sonderbar Unterspannte zu kippen; die Erwartung der Hörer reizen sie so lange, bis ihre Erwartung ermüdet – um dann umso unvorbereiteter von den kathartischen Ausbrüchen der Band überrascht zu werden.

Anschließend steigern sie wieder über sehr lange Zeit ihr Tempo so unerbittlich bis über jede erwartbare Wortwucht hinaus, dass der Herzschlag der Hörer aus dem Rhythmus gerät und das Blut in den Kopf steigt und in den Ohren brüllt. Insgesamt zweieinhalb Stunden spielen die Swans im Berghain, immerhin sechs Stücke schaffen sie in dieser Zeit.

Sie quälen die Ohren und die daran angebrachten Köpfe und Körper so lang, bis die Körper und Köpfe ganz schwer werden und zugleich ganz leicht, bis der Geist die leiblichen Hüllen verlässt und das Publikum vor der Bühne nur noch aus leeren, im Soundorkan taumelnden Leibern besteht. Manche fallen nach einer Weile auch kurzerhand ohnmächtig um.

Was für ein Abend!

Welche Erleuchtung!

wpid-swans-live-2-e1413643291977-600x300.jpegFast drei Stunden langen spielten die Swans im Berghain. Mit ihrem kathartischen Krach zwangen sie das Publikum in die Knie und hoben es jauchzend in die höchsten Höhen, um sie dann ohne Warnung krachend zu Boden zu schleudern.

 

Ach! Wer hätte gedacht, dass so ein schrecklicher Mittwoch im Herbst noch so viel Erleuchtung zu bieten hat.

Gut, ich hatte doch erwartet, dass ich die LPs in ihrer doch harmonischen Form hören würde, wurde aber in den krachenden Schlund eines Vulkans gestoßen.
Ich brauchte ein, zwei Tage um das zu verarbeiten, was ich hörte und sah, schwankte auch zwischen Ablehnung und Zuspruch.
Life ist eben etwas ganz anderes, als die Musik Zuhause zu hören, sicher und geborgen.

Letztlich ein Erleben von schierer Kraft, brutalen Klang, höllentiefen Bässen und infantilen Gesang – das bekommt man nun wirklich Zuhause  nicht hin.

Dazu ist man doch zu sozialisiert.

Wer jetzt Angst vor diesen Platten, der Musik Von des Swans hat, dem sei gesagt, sie klingen harmonisch, klar strukturiert, soundmäßig absolut topp abgemischt.

Life eben wird die Sau raus gelassen.

Trotzdem absolut hörbar.

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Link zu : Michael Gira – Ein Abend in der Volksbühne

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