Der Irrsinn mit der „Uhr“

Mega super –  aber es kommt noch viel besser:

Nach einer knappen Stunde läuft die Werbeveranstaltung auf ihren Höhepunkt zu: Tom Cook, Chef von Apple, seit Steve Jobs nicht mehr da ist, hat schon einiges über die Appel Uhr erzählt, dieses neueste Produkt aus seinem Haus, das mal wieder alles ändern soll. Er bemüht sich sichtlich, begeistert zu klingen, um Begeisterung zu wecken, enthusiastisch setzt er an, man spürt: Jetzt kommt noch etwas ganz Tolles.

Die Fangemeinde dreht frei!!
„Wir sind dabei!! Wir gehören dazu“ – wird skandiert.

„Sie können auch noch mit dem eingebauten Empfänger und Mikrofon…“, spricht Cook, „sie können mit Ihrer Uhr Anrufe empfangen! So etwas wollte ich machen, seit ich fünf Jahre alt war! Endlich ist es so weit!“

„Jaaaaaaaaaaaaaaa!!“ schreit die bekloppte Apple-Gemeinde und wedelt mit den 100ter Bündeln.

Tja, endlich ist es also so weit. Fünfjährige wollen vieles, Feuerwehr- oder Müllmann werden, Astronaut vielleicht oder Dino-Forscher, meist gibt sich das nach wenigen Jahren. Und das ist auch ganz gut so.

In den Achtzigerjahren lief im Vorabendprogramm die US-Serie „Knight Rider“ mit David Hasselhoff. Immer wenn er in Schwierigkeiten geriet, konnte er seine Armbanduhr zum Mund heben und sein sprechendes Wunderauto „K.I.T.T.“ herbeizitieren.

Die Konsumenten dieser in der Rückschau verblüffend dämlichen Serie sind heute um die 40 Jahre alt, also genau Apples Zielgruppe für die Watch: Technikaffine, im Berufsleben stehende Männer, die möglichst jugendlich-modern wirken wollen und dafür in teure Gadgets von fragwürdigem Nutzwert zu investieren bereit sind.

Werden sie Geld dafür ausgeben, um cool zu sein wie The Hoff? Werden sie begeistert ihr Handgelenk heben, um endlich einmal selbst „K.I.T.T., hol mich hier raus“ hineinsprechen zu können? Eher nicht.

Das ist nicht cool, das ist eine Invasion

Apples Gadgets zielten auch in der Vergangenheit auf das Kind im Mann, und der Autor dieses Textes hat sich stets ansprechen lassen und auch nicht vorhandenes Geld zusammengekratzt, um sich den neuesten Apple-Kram zu besorgen: Vom Newton, der aussah wie ein Tricorder aus „Star Trek“ und (mehr schlecht als recht) Handschriften erkennen konnte, bis zum iPhone, dem vielleicht ersten Produkt überhaupt, das alles hielt, was es versprach, und dessen Anschaffung in der jeweils aktuellsten Version zum festen Bestandteil des Jahresbudgets geworden ist.

Die Apple Watch ist seit Jahrzehnten die erste Produktinnovation aus Cupertino, die keinerlei Sehnsüchte auslöst. Über zehn Jahre lang hat uns die Mobilbranche das Tragen von Armbanduhren abgewöhnt, jetzt plötzlich sollen wir uns diesen hässlich-klobigen Klotz umschnallen – und trotzdem noch das Handy dabei haben?

Jeder Anruf, jede Eilmeldung, jede gängelnde Aufforderung, uns gefälligst aus dem Bürostuhl zu erheben, soll uns jetzt physisch induziert werden, von einem Gerät, das wir uns dauerhaft um den Körper binden? Das ist nicht cool, das ist eine Invasion.

Während das iPhone eine revolutionäre Neuerfindung des Telefons war, die es um so viele Funktionen bereicherte, dass seine Hauptfunktion, das Telefonieren, in den Hintergrund trat, wirkt die Apple Watch wie eine Verwässerung dessen, was wir bisher als Konzept der Armbanduhr kennen.

Eine Apple Watch ist kein Erbstück

Eine hochwertige Armbanduhr ist zeitlos, sie hält praktisch ewig und ist damit ein klassisches Erbstück. Die Apple Watch hingegen ist wohl schon in wenigen Jahren nicht mehr aktuell, weil sie dann von der nächsten Version abgelöst wird. Während die herkömmliche Armbanduhr ihr ursprüngliches Aussehen auch in hundert Jahren nicht verändern wird, ist die Apple Watch anpassbar, je nach Geschmack und Laune kann man sich die Zeit mit Blüten, Ziffern oder einer Micky Maus anzeigen lassen.

Eine Armbanduhr ist das stilistische Statement eines erwachsenen Menschen. Die Anpassungsfähigkeit des Produkts, gemeinhin ein Feature moderner Technik, ist hier explizit nicht erwünscht. Bei der Apple Watch jedoch gerät das Design zur kindischen Beliebigkeit.

Vielleicht verweist Captain Cook ja deshalb auf den Traum eines Fünfjährigen: Der lässt sich schnell begeistern.
Letztlich gibt es immer die Irren, die dafür Geld ausgeben, um auch nur dazuzugehören: zur unheimlich geilen Apple-Gemeinde!!

 

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