Griechenland – Teil 1

Je komplizierter die Fakten, desto attraktiver die Fiktionen: Die Berichterstattung über „die Deutschen“ und „die Griechen“ gleicht einer Tortenschlacht. Wo es früher noch um Ursachen ging, geht es heute nur um Wirkung.

Gibt es eigentlich irgendeinen Knopf, den ich drücken kann, wenn im Fernsehen mal wieder davon die Rede ist, dass „die Deutschen“ dies oder „die Deutschen“ das…?!

Gibt es irgendeine Möglichkeit – wie es im amerikanischen Fernsehen ist, wenn jemand „fuck you“ sagt – dass es laut piepst und man nicht hört, wenn wieder davon die Rede ist, „die Griechen“ müssten „ihre Hausaufgaben“ machen?

Gibt es irgendeine Stelle, bei der ich anrufen kann, kann ich irgendwo hin mailen und sagen: Not in my name?

Ich fühle mich nämlich symbolisch enteignet, und zwar gerade in meinem Ta-Ta-Deutsch-Sein: Weil es einerseits das ist, was ich bin – und weil ich andererseits niemandem erlaubt habe, mit diesem Deutsch-Sein herumzulaufen und fremde Völker anzupöbeln.

Bilder und Parolen statt Argumenten

Ich will also mein Deutsch-Sein zurück, und zwar, in loser Reihenfolge, von: Julian Reichelt, Béla Anda, Kai Diekmann, Ernst Elitz, Frank Plasberg, Günther Jauch, Markus Söder, Arnulf Baring, ach, die Liste ist zu lang.

Wenn es schon immer ein Problem in diesem Land war, dass viele zwischen Weinerlichkeit und Herrschsucht die anderen um sie herum aus dem Blick verloren – dann zeigt es sich in diesen Tagen mal wieder besonders deutlich.

Das populistische Dauersalbadern hat dabei schon länger die politische Diskussion ersetzt: Wo es früher mal, theoretisch jedenfalls, um Ursache und Wirkung ging, geht es heute nur noch um Wirkung.

Die Gründe – etwa für die Wut auf die EZB oder für das Interesse der Banken an immer neuen Krediten für Griechenland – sind nicht halb so interessant wie die Bilder von brennenden Autos oder ein echter oder falscher Stinkefinger von 2013.

Das ist die Situation: Umfragen, Bilder, Parolen haben Argumente ersetzt. Das macht aus der Politik eine demoskopische Tortenschlacht, bei der gerade nur die Griechen ins Gesicht bekommen.

Da muss sich Finanzminister Gianis Varoufakis im Fernsehen behandeln lassen, als sei er nicht bei „Günther Jauch“ in der ARD, sondern bei Peter Zwegats Schuldenberatung auf RTL.

Politik auf „Gala“-Niveau

Und es macht auch nur noch einen kleinen Unterschied, ob es um Jauch oder den verbalen Boxring von Frank Plasberg oder die Seite 1 der „FAZ“ geht, ob es die opportunistische Hetze von „Bild“ ist oder der kleine Fehler der „Welt am Sonntag“, wo 800 Millionen mit 800 Milliarden verwechselt wurden – egal, schuld und dumm sind am Ende immer die Griechen.

Was man aber erlebt, ist Politik auf „Gala“-Niveau: Erst beschreiben die Medien Varoufakis als Bruce Willis, den Drachmen-Töter, dann nehmen sie dessen eigene Eitelkeit so ernst und halten ihm eine Homestory vor, als spiele das irgendeine Rolle bei der Frage, wie gerecht oder ungerecht die demokratisch durch nichts legitimierte Arbeit der Troika ist.

Die Medien sind damit selbst verloren gegangen auf dem Boulevard ihrer früheren Bedeutung, in vielem unkritisch und anpasserisch, in manchem dafür auftrumpfend und rechthaberisch.

Der Streit um die EZB oder die Not Griechenlands in der Eurokrise sind nur einzelne Beispiele für ein größeres Symptom: Diese Krise wirkt ja vor allem dann kompliziert, wenn man den zugleich simplifizierenden und verwirrenden Vermelde-Journalismus etwa der „Tagesschau“ verfolgt.

Und je komplizierter die Fakten, desto attraktiver die Fiktionen: Da gibt es dann plötzlich wieder fleißige Völker und faule Völker, da gibt es wieder „die Deutschen“ und „die Griechen“, da gibt es, nach den Döner-Morden nun Tzatziki-Debatten und Sirtaki-Regierungen.

Harte Zeiten für die Wahrheit

Es ist eine politisch-mediale Verfallsgeschichte, Ergebnis von jahrelanger, jahrzehntelanger Entpolitisierung, die ein Vakuum der Gedanken geschaffen hat, eine galoppierende Prinzipienlosigkeit, einen wurschtigen Relativismus.

„Um eine rationale Debatte zu vermeiden“, kritisierte der Philosoph Slavoj Zizek gerade, „begeben sich deutsche Medien immer stärker auf das Niveau der Boulevardpresse und stellen Tsipras und Varoufakis als Exzentriker da, die nur Zirkustricks aufführen und unverantwortliche demagogische Vorschläge präsentieren.“

Was ein wenig unfair ist, denn Peter Zwegat vom Privatfernsehen könnte zum Beispiel immerhin erklären, warum es unsinnig ist, immer neue Kredite in das tiefe Loch zu schaufeln, das die griechischen Schulden sind: Das macht nur dann Sinn, wenn man will, dass die Banken weiter dick an den Zinsen dieser Schulden profitieren.

Das wäre Rationalität auf RTL-Niveau.

Aber wenn heute jemand, bei Jauch oder anderswo, sagt: Die Griechen können, so oder so, diese 300-x Milliarden nicht zurückzahlen, dann gilt das schon fast wie Volksverrat.

Es sind harte Zeiten für die Wahrheit.

 

Zumal: Jetzt wollen die Griechen mit den Russen taktieren und sich von denen die Milliarden holen.

Pfui Teufel, wie abgründig und undankbar!! Und wie man heute im Spiegel lesen kann, warnt der EU-Ratspräsiden Martin Schulz Griechenland vor diesem Schritt. Selbst, wenn Griechenland am Tropf der EU hängt, kann es doch nicht sein, sich diesem Hegemonieanspruch zu beugen. Erinnert das nicht auch an die schlimmste Zeit der Kolonalisierung?

 

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