Swans – Das brutal laute Dröhnen der Existenz

Konzerte von Swans gelten als Grenz- und Ganzkörpererfahrungen. Lässt sich die Urgewalt der US-Band und ihres Schöpfers Michael Gira mit filmischen Mitteln fassen? Die Doku „Where Does a Body End“ versucht es.

Thurston Moore sieht aus, als hätte er eine Panikattacke. Der ehemalige Gitarrist und Sänger der US-Band Sonic Youth macht gerade hyperventilierend und mit weit aufgerissenen Augen nach, wie er seinen Freund und Weggefährten Michael Gira einst nach Konzerten seiner Band Swans erlebt hat: völlig erschöpft und verausgabt, ein wildes, gehetztes Tier.
Sonic Youth und Swans waren zu Beginn der Achtzigerjahre ein lautstarkes Hardcore-Doppel in der Musikszene auf der Lower East Side von New York. Aber selbst als Sonic Youth längst erfolgreicher und bekannter waren, spielten sie stets zuerst: Nach Swans aufzutreten, sagt Moore, war keine gute Idee, „es war einfach zu wild“, danach könne nichts mehr kommen.
Tatsächlich gibt es bis heute keine brutalere und zugleich erlösendere Konzerterfahrung als das, was Michael Gira, heute 65, mit seinen wechselnden Bandbesetzungen von der Bühne herab anbietet. Die aus Trommeln, Gitarrenfeedback und Bass-Drones amalgamierte Musik folgt live längst keinen Zeit- und Songstrukturen mehr. Am Ende der letzten Tournee ist das Stück „Cloud Of Unknowing“ vom Album „The Glowing Man“ zu einem mäandernden Monster von bis zu 54 Minuten Länge mutiert, ein durch Mark und Bein dringender Mahlstrom aus dröhnend lautem Sound, zu dem Gira, ein verwitterter Schamane, mit wilden Armbewegungen eine Art Messe veranstaltet. Ziel: totale Entgrenzung, absolute Transzendenz, die Überwindung des Körpers und der irdischen Existenz. Erlösung.
„Where Does a Body End?“, fragt dann auch der Titel eines rund zweistündigen Kino-Dokumentarfilms, den der US-Regisseur Marco Porsia über Swans und ihren Spiritus Rector Michael Gira gedreht hat. Er zeichnet die Geschichte der Band von den Anfängen über zahlreiche Brüche und Neustarts in die Gegenwart nach, lässt Zeitgenossen und Fans wie Moore, Devendra Banhart oder Amanda Palmer erzählen – und verdichtet Foto- und Liveaufnahmen zum Porträt eines von Dämonen gequälten Mannes und seiner obsessiven Musik.

„Beyond Tinnitus“
Porsia, der neben seiner Haupttätigkeit als Editor für US-amerikanische TV-Serien und -Dokumentationen auch eigene Projekte verfolgt und Rockmusik-Videos dreht, ist ein Fan. Und so ist auch sein Film vor allem als Fan-Service zu verstehen, als unterhaltsame, aber auch erkenntnisarme Hagiografie für Eingeweihte und Jünger, die den enigmatischen Schmerzensmann Gira (sprich: Dschi-Rah) ohnehin für den letzten und vielleicht auch einzig wahren Rock-Messias halten. „Die Essenz der Musik in einer einzigen Band“, schwärmt die junge Savages-Sängerin Jenny Beth über Swans, „absolutely brutal and absolutely beautiful“ staunt der New Yorker Underground-Veteran Kid Congo Powers – mehr als Ehrfurcht, Bewunderung und Begeisterung ist hier nicht zu erwarten. Gira selbst, Cowboyhut und schwarzer Anzug, darf in Porsias Film in einer Londoner Galerie durch Irrgänge von Richard Serra laufen und sich „desorientiert“ fühlen. In Interviews denkt er darüber nach, ob er überhaupt existiert, feixt über seinen Hörschaden „beyond Tinnitus“ oder charakterisiert seine Musik grinsend als „so emotional verstörend wie möglich“.

Dass dieser genialische Lärmgott auch ein unausstehlicher Kerl sein kann, davon zeugt immerhin eine Szene im holzgetäfelten Sonic-Ranch-Studio in Texas, wo die Band in ihrer 2016 noch aktuellen Inkarnation für die kommenden Konzerte probt: Autodidakt Gira kann sein Konzept nur über Gefühle und Stimmungen vermitteln, das macht es Mitmusikern zuweilen unmöglich zu erahnen, was der Chef im Sinn hat, wenn er sagt: „Der Akkord da am Anfang, der muss tiefer“. Die Luft wird dicker im vollgestellten Proberaum, irgendwann schmeißt der Bassist entnervt sein Instrument in die Ecke und stürmt hinaus. Als „schwierig“ gelte Gira, lächelt Kid Congo Powers, der früher bei Bands wie den Cramps, Gun Club und den Bad Seeds spielte, er würde ihn aber eher kompromisslos nennen. Sein Verhalten erinnere an Nick Cave, sagt er: „Solche Leute verteidigen ihre künstlerische Vision gegen alles. Es geht um ihr Lebenswerk!“

Brüllender, dekonstruierter Blues
Klar, in der weißen Rockmusik, auch in ihrer postheroischen Post-Punk-Phase, die Bands wie Swans und Sonic Youth hervorbrachte, ging es immer auch um extreme Egos. Porsia leitet durchaus suggestiv her, wie Gira erst seine schwere Kindheit (Drogen mit 13, 16. Geburtstag im Knast, bedröhntes Drifting zwischen Südkalifornien, Frankreich, Deutschland, Osteuropa und Israel), dann die erbärmlichen und kriminellen Zustände im New Yorker East Village der späten Siebziger in einen brüllenden, dekonstruierten Blues fließen ließ. Man solle sich in seinem musikalischen Bußritual für einen Moment lang auflösen, sagt Gira über den peinigenden Sound-Exzess, zu dem er wahlweise grollt, murmelt oder schreit.
Wie „schwierig“ dieser Prozess der Selbstkasteiung für Nahestehende sein kann, spart Porsia weitgehend aus: Den 2016 von der Songwriterin Larkin Grimm geäußerten Vergewaltigungsvorwurf, den der Musiker in mehreren Statements von sich wies, thematisiert er nicht. Dafür schafft er jedoch dankenswert viel Raum für die langjährige Swans-Keyboarderin und Gira-Geliebte Jarboe, die für Giras Album „Drainland“ (1995) private Aufnahmen von einem Streit des Pärchens über die zerstörerische Alkoholsucht des Sängers zur Verfügung stellte, die im Song „You See Through Me“ verarbeitet wurden. „Ein interessanter Moment der Menschlichkeit“, urteilt Gira 20 Jahre später darüber, undurchsichtig lächelnd.
Den durchaus reinigenden und euphorisierenden Rausch der akustischen Ganzkörpererfahrungen, die Gira sich selbst und seinem willigen Publikum verordnet, kann ein so konventionell inszenierter Film wie „Where Does A Body End?“ trotz seiner Sorgfalt und Materialfülle nicht fassbar machen. Aber anders als Sonic Youth hat Michael Gira seinen „Body of Work“ noch nicht vollendet. Mit neuer Bandbesetzung und neuem Album ist er ab Frühjahr wieder mit Swans auf Tournee.

Foto: 3 privat

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